Am Samstag 16. September 2023 jährt sich die Ermordung von Masha Amini, wir gedenken Ihr und den anderen Getöteten an diesem Tag auf dem Leichhof in Mainz von 10 bis 15 Uhr.
Dialog Forum Mainz
Mainz beherbergt einer der ältesten iranischen Communities Deutschlands. Seit Jahrzehnten leben, studieren und arbeiten hier Iraner:innen, mittlerweile in der dritten und vierten Generation.
Unser gemeinsamer Migrationshintergrund – all die Völker, Sprachen, Traditionen, Religionen, Konfessionen, politischen Orientierungen und Vergangenheiten die den Iran ausmachen- und unsere Zugehörigkeit als Mitbürger und Mitgestalter der Gesellschaft, die uns nicht nur umgibt, sondern mit der wir verwoben sind, die unsere unmittelbare Gegenwart ist, prägen unser Selbstverständnis. So unterschiedlich der Weg nach Deutschland, in das Rhein-Main-Gebiet, in das singende und lachende Mainz, in diese aus den Ruinen des Weltkrieges auferstandene Stadt war – traurig oder heiter, resigniert oder optimistisch, geschunden und zerschlagen oder voller Tatendrang, hier geboren oder immigriert, wir sind hier angekommen, wir gehören dazu.
Wir sind hier und wir sind dort. Dort wo eine seit Monaten anhaltende Protestbewegung –Frau, Leben, Freiheit – ausgelöst durch die Ermordung einer jungen kurdischen Frau – Mahsa Amini – das ganze Land in Aufruhr versetze. Das Volk der vielen Völker begehrt zum wiederholten Male auf und bringt die über hundertfünfzig Jahre alte Bewegung für Demokratie und Recht wieder mitten ins Leben. Wieder entdeckt, wieder erinnert, wieder erhofft, wieder gewünscht … Wieder gescheitert?!?
Eine Bewegung jenseits von Ideologie und klassischer Parteipolitik. Als Bewegung und Ausdruck, als Notwehr und Reaktion auf all die wirtschaftlichen Missstände, sozialen Verwerfungen und Diskriminierungen, ist sie jenseits der Trennungslinien von links oder rechts, liberal oder konservativ, republikanischer Verfassung oder konstitutioneller Monarchie. Sie ist verwurzelt in den Nöten aller Schichten und Klassen –ob Tagelöhner:innen, Arbeiter:innen, Studenten:innen, oder Angestellte. Der Ruf nach politischer und wirtschaftlicher Teilhabe kommt nicht nur von einer intellektuellen Minderheit, die von den materiellen bzw. kulturellen Privilegien der Vergangenheit zehrt, es ist das Aufbegehren eines Volkes, dass sich nicht religiös oder ethnisch spalten, sich nicht von vermeintlichen Rettern korrumpieren oder von gewalttätigen Milizen einschüchtern lässt. Der Diskurs findet überall statt, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verlässt das luxuriöse Gemach humanistischer Besinnlichkeit und wird zum Aufschrei der Massen, vorneweg die Frauen. Gleichberechtigung, Gewaltenteilung, freie Meinungsäußerung, Weltoffenheit und Toleranz werden genauso notwendig erfahren, wie das fehlende tägliche Brot, das fehlende Dach über dem Kopf, das fehlende Wasser zum Trinken, die fehlende Luft zum Atmen.
Es gilt den religiösen Faschismus, die Wahnvorstellung eines schiitischen Großreiches, den Alptraum der Mullahkratur, die erdrückende Verschlossenheit von Tradition und Glauben, die Alltäglichkeit von Korruption und Folter zu überwinden und … Anschluss zu finden an eine von den Machthabern gern verdrängte Vergangenheit demokratischer Ansätze und Bestrebungen die seit fast hundertfünfzig Jahren Freiheit, bürgerliche Rechte für Frau und Mann, Säkularität und Modernität einfordern.
Wir – Mainzer Bürger mit iranischem Migrationshintergrund – entsetzt und enttäuscht – entsetzt von der anhaltenden Gewalt im Iran und enttäuscht von den politischen Querelen der exilierten Politprofis, und dem interessengeleiteten larvieren vermeintlicher Demokraten der freien Welt, fühlen uns verpflichtet andere Wege zu gehen.
Wir sind Demokraten, wir sind Dissidenten, wir sind Migranten … und das ist gut so!
Wir reden und streiten miteinander, nicht gegeneinander … und das ist gut so!
Wir pflegen die Freundschaft trotz unterschiedlicher politischer und ethnischer Herkünfte und vermeiden die angestaubten ideologischen Feindschaften der Vergangenheit… und das ist gut so!
Wir vertrauen der politischen Reife derjenigen die in ihrem täglichen Lebenskampf Menschenrechte und Demokratie als Bedürfnis, als Notwendigkeit erfahren und misstrauen den politischen Spekulanten und den Phantasten althergebrachter Paradiesvorstellungen und Utopien … und das ist gut so!
Wir wünschen uns die Zusammenarbeit mit noch mehr Menschen, um die demokratische Bewegung ideell und materiell zu unterstützen, um politische Rationalität und Geschichtsbewusstsein zu fördern und lassen uns nicht von religiösen Eiferern und rechtsextremen Puristen zusammenbrüllen… und das ist gut so!
Wir lieben das Privileg der freien Rede und verachten die Missgunst der Zensoren … und das ist gut so!
Wir gedenken, wir trauern, wir machen weiter … und das ist gut so!
Wir leben, wir lieben, wir arbeiten … trotz alle dem … und das ist gut so!
Wir versuchen, wir versuchen, wir versuchen … und das ist gut so!!
Wir wünschen Eure Unterstützung und Mitarbeit … das wäre gut so!